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„Querdenken“-Rednerin vergleicht sich mit Widerstandskämpferin : „Ich fühle mich wie Sophie Scholl“

Beim Corona-Protest in Hannover zieht eine Rednerin einen historisch absurden Vergleich. Ein Ordner reagiert spontan, auch Außenminister Maas ist entsetzt.

Demonstration der Initiative „Querdenken“ gegen die Corona-Maßnahmen auf dem Opernplatz in Hannover
Demonstration der Initiative „Querdenken“ gegen die Corona-Maßnahmen auf dem Opernplatz in HannoverFoto: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Bei einer „Querdenken“-Kundgebung in der Innenstadt von Hannover gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung hat sich eine Rednerin mit Sophie Scholl verglichen, der Widerstandskämpferin gegen die Nationalsozialisten.

Die junge Frau steht am Samstag auf der Bühne und stellt sich als Jana aus Kassel vor. „Ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten aktiv im Widerstand bin, Reden halte, auf Demos gehe, Flyer verteile und auch seit gestern Versammlungen anmelde“, sagt sie und bekommt Applaus.

„Ich bin 22 Jahre alt, genau wie Sophie Scholl, bevor sie den Nationalsozialisten zum Opfer fiel“, fährt sie dann fort. Sie werde niemals aufhören, sich für Freiheit, Frieden, Liebe und Gerechtigkeit einzusetzen.

Während sie noch spricht, tritt ein junger Mann an die Bühne und drückt ihr eine orangefarbene Warnweste in die Hand. „Für so einen Schwachsinn mache ich doch keinen Ordner mehr“, sagt er. „Was für einen Schwachsinn?“, fragt die überraschte Rednerin.

Andere Ordner kommen hinzu. „Das ist Verharmlosung vom Holocaust“, sagt der junge Mann. „Ich habe doch gar nichts gesagt“, entgegnet die Rednerin.

Dann kommen mehrere Polizisten, der junge Mann, der kein Ordner mehr sein will, geht und nennt den Auftritt von Jana aus Kassel „mehr als peinlich“. Die junge Frau auf der Bühne dreht sich um, bricht in Tränen aus, wirft ihr Redemanuskript zu Boden und verlässt die Bühne.

Nach dem Zwischenfall kommt Jana aus Kassel aber später zurück auf die Bühne und hält ihre Rede. Wie schon beim ersten Anlauf vergleicht sie sich dabei wieder mit Sophie Scholl.

Die Studentin Sophie Scholl engagierte sich zusammen mit ihrem Bruder Hans und Christoph Probst in der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ gegen das NS-Regime. Sie verbreiteten unter anderem an ihrer Universität in München Flugblätter, die die Bürger wachrütteln und den Sturz der nationalsozialistischen Herrschaft vorbereiten sollten. Im Februar 1943 wurde die Gruppe entdeckt.

Die Geschwister Scholl und Probst wurden wegen ihres Widerstands gegen das NS-Regime am 22. Februar 1943 verurteilt und wenige Stunden später bereits mit dem Fallbeil im Gefängnis München-Stadelheim hingerichtet.

Außenminister Maas empört über Geschichtsvergessenheit

Dass sich die Rednerin in Hannover mit Sophie Scholl verglich, gefiel etlichen Twitter-Nutzern, doch gab es auch deutliche Kritik. Kommentare unter dem bei Twitter sehr schnell verbreiteten Video des Vorfalls bezeichneten die Gleichsetzung als beschämend. Der junge Mann bekommt dagegen mehrfach Zuspruch. „Respekt für den Ex-Ordner, der die Verhöhnung der realen Holocaust-Opfer erkannte und sich dagegen stellte“, heißt es etwa.

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Heftige Kritik kam aus der Politik. Wer sich heute mit Sophie Scholl oder Anne Frank vergleiche, „verhöhnt den Mut, den es brauchte, Haltung gegen Nazis zu zeigen“, twitterte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). Das verharmlose den Holocaust und zeige eine unerträgliche Geschichtsvergessenheit.

„Nichts verbindet Coronaproteste mit Widerstandskämpfer*Innen. Nichts!“, schrieb Maas weiter.

Mit dem jüdischen Mädchen Anne Frank, das mit ihrer Familie vor den Nationalsozialisten in die Niederlande geflohen war, dort im Versteck in Amsterdam ihr berühmtes Tagebuch schrieb und kurz vor Kriegsende doch noch von den Nazis ermordet wurde, hatte sich kürzlich ein Mädchen bei einem Corona-Protest in Karlsruhe verglichen.

Die Elfjährige hatte öffentlich geschildert, dass sie ihren Geburtstag wegen der Corona-Beschränkungen heimlich mit Freunden habe feiern müssen und sich deshalb wie Anne Frank gefühlt habe.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Katja Mast nannte auf Twitter Vergleiche wie den von Jana aus Kassel unerträglich.

„Die einen dürfen sich frei auf Versammlungen äußern, während die anderen unter Einsatz ihres Lebens Widerstand gegen den Terrorstaat leisteten“, schrieb Mast.

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